pexels/Torsten Dettlaff

Schon zweimal in ihrem Leben hatte Janina Kowacics (16) Mutter akute Depressionen gehabt. Ihrer Tochter hat sie allerdings nie davon erzählt, und so erkannte Janina die Anzeichen nicht, als es ihrer Mutter immer schlechter ging. Auf vigozone erzählt sie von ihrer schlimmsten Zeit:

Es ist für mich nicht leicht, von dieser Zeit zu erzählen. Ich kriege noch immer kaum Luft, wenn ich an manche Sachen denke. Dabei fing es ganz harmlos an. Mein Vater zog aus, was ehrlich gesagt eine Erleichterung war, weil meine Eltern sich ohne Ende gestritten haben. Meine Mama und ich haben gemeinsam nach einer kleineren Wohnung gesucht – ich war damals 14 – Sachen gepackt, den Umzug organisiert. Es war wie ein Aufbruch.

Nach einigen Wochen in der neuen Wohnung wurde Mama allerdings immer stiller, lachte nur noch selten. Sie traf sich nicht mehr mit Freunden. Sie ging zur Arbeit (sie ist Pressereferentin bei einer Modefirma), machte mir war zu essen und legte sich dann auf die Couch vor den Fernseher. Heute weiß ich, dass dieses Verhalten schon Teil der Depressionen war, aber damals kannte ich mich damit nicht aus. Ich begriff nicht, warum sie sich immer mehr zurückzog. Erzählt habe ich es nur meiner besten Freundin. Die meinte, meine Mutter müsse vielleicht die Trennung von meinem Vater verarbeiten. Das klang logisch.

Schließlich ließ sie sich immer häufiger krank schreiben, weil sie Magenprobleme hatte oder Kopfschmerzen. Mit ihr reden konnte ich nicht. Sie sagte dann nur, das habe alles keinen Sinn, und ich solle sie in Ruhe lassen. Das war so furchtbar! Sie hat nur noch auf der Couch gelegen, die Vorhänge gar nicht mehr aufgemacht, sich nicht geduscht. Ich bin einkaufen gegangen, habe die Wohnung einigermaßen sauber gehalten – und echt nicht gewusst, was ich tun soll.

Insgesamt ist das einige Monate so gelaufen, aber die Tage waren alle gleich, sodass sie in meiner Erinnerung verschwimmen. Ich habe wie in Trance versucht, unseren Alltag aufrechtzuerhalten. Im Nachhinein verstehe ich nicht, warum ich nicht viel früher Hilfe geholt habe, aber ich dachte, Mama ist sauer, wenn ich mit anderen über sie rede. Bis zu diesem einen Wochenende. Mama hat gar nichts mehr gegessen und ist im Bett geblieben. Ich war so verzweifelt, dass ich meinen Papa angerufen habe, um ihm zu sagen, ich könne nicht wie geplant zu ihm kommen. Mama sei krank. Dann habe ich angefangen zu weinen. Er hat einfach aufgelegt und ist gekommen, weil er sofort wusste, was los war. Bevor ich auf der Welt war, hatte er bei Mama schon einmal akute Depressionen erlebt.

Sanitäter, die mich wegschieben, Hektik, meine schluchzende Mutter, die Polizei, eine Nachbarin, die mir Schokolade gibt – ich kann bis heute nicht sortieren, was danach genau passiert ist. Ein Arzt hat zu mir gesagt: „Wenn jemand schwere akute Depressionen hat, braucht er medizinische Hilfe. Sie haben genau das Richtige getan.“ Mir ist aufgefallen, dass er mich gesiezt hat. Ich fand es angemessen, weil ich mich plötzlich sehr erwachsen gefühlt habe.

Mama ist danach einige Wochen in einer Klinik gewesen und anschließend drei Monate in der Reha. Sie nimmt bis heute Medikamente, die ihr sehr geholfen haben, und sie macht eine Therapie. Sie glaubt, dass sie wieder krank geworden ist, weil sie lange Zeit nicht darauf geachtet hat, was ihr gut tut und was sie wirklich will. Die Trennung von Papa war dann zu viel.

Heute achtet Mama darauf, dass sie viele schöne Sachen macht, an denen sie Spaß hat. Sie arbeitet auch wieder und macht keine Überstunden mehr. Es geht ihr ganz gut. Allerdings kriege ich sofort Magendrücken, sobald sie ein klitzekleines bisschen schlechte Laune hat. Ich habe große Angst, dass die Depressionen wiederkehren könnten. Für mich ist es eine große Hilfe, dass ich inzwischen mehr über die Krankheit weiß. Außerdem rede ich sehr viel mit meiner Mama. Unser Verhältnis ist durch dieses Erlebnis unheimlich eng geworden.

 

Beratungsangebot

Bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch kranker Eltern könnt ihr über die Postleitzahlensuche Angebote in eurer Nähe finden.