Celine

Es war ein schöner Tag im Mai vor vier Jahren, als sich für Celine Cordero-Decker (15) und ihre Familie alles veränderte. Der Morgen hatte mit dem üblichen Trubel begonnen, der entsteht, wenn vier Schwestern fast gleichzeitig in den Kindergarten oder in die Schule wollen. Celine, damals zehn Jahre alt und die Älteste, versuchte, für Ordnung zu sorgen. Plötzlich stand ihre Mutter vor ihr, Panik in der Stimme: „Anastasia ist ganz gelb!“ Ausgerechnet mit der Jüngsten stimmte etwas nicht. Sie war noch nicht einmal drei, und machte der Familie schon länger Sorgen, weil sie so schlecht schlief und viel weinte.

Die Diagnose

„Wir waren den ganzen Tag nervös, weil wir nicht wussten, was los ist“, erinnert sich Celine heute. Am Abend erfuhren sie: Die Kleine hatte Blutkrebs (Leukämie), und ihre Blutwerte waren so katastrophal, dass sie fast gestorben wäre. „Da haben wir alle einfach nur geheult.“ Die üblichen Streitigkeiten, die es in Familien so gibt, waren von einem Tag auf den anderen egal. Und das sollte auch noch eine Weile so bleiben, denn es dauerte Monate, bis es Anastasia wieder so gut ging, dass sie nachhause konnte.

Chaos im Alltag

Niemand hatte Zeit, sich auf diese Situation vorzubereiten. „Mama ist nicht wiedergekommen und direkt für ein paar Wochen mit Anastasia im Krankenhaus geblieben“, erzählt Celine. Ihr Papa musste den ganzen Tag arbeiten, und die Oma, die für eine Zeit einsprang, konnte nicht ewig bleiben. Also hat Celine angepackt. „Morgens habe ich für uns alle Schulbrote gemacht, und nachmittags haben wir gemeinsam unsere Zimmer aufgeräumt – meistens … Papa hat mir auch gezeigt, wie ich die Waschmaschine anmachen muss.“ Sogar gekocht hat sie. Irgendwie ging es, aber leicht war es nicht. „Mama hat uns furchtbar gefehlt, und wir hatten alle wahnsinnige Angst um Anastasia.“ Aber Celine musste stark sein, die Jüngeren trösten und sogar ihre Mutter. „Mama hat angefangen zu weinen, als wir im Krankenhaus zu Besuch waren. Sie war völlig fertig.“

Ist es ein Wunder, dass Celine sich in der Schule kaum noch konzentrieren konnte? Ihre Noten hat sie trotzdem gehalten, darauf ist sie stolz. Später hat sie sogar einen super Aufsatz in Bio geschrieben, weil sie so gut erklären konnte, was Thrombozyten (Blutplättchen) sind. Das wusste sie von ihrer Mutter, die im Laufe der Zeit zu einer Blut-Expertin geworden ist.

Und wenn sie ganz ehrlich ist, dann war es manchmal auch schwer, dass sich alles immer nur um die Kleinste drehte. „Aber ich habe mir dann gedacht: Was wäre, wenn ich krank wäre? Dann würden sich alle genauso um mich kümmern. Das hat geholfen.“

Einfach mal raus mit LICHTBLICK

Als Anastasia wieder nachhause kam, war es anfangs nicht viel leichter. Die ganze Wohnung musste steril sein. Die kleinste Erkältung hätte ihre Schwester das Leben kosten können. Umso wichtiger war es, dass Celine und ihre Schwestern einfach mal rauskonnten, sich ablenken. LICHTBLICK ist eine Initiative der AOK und organisiert und vermittelt Freizeiten für Kinder und Jugendliche, deren Geschwister schwer krank sind. „Wir waren mehrmals mit LICHTBLICK unterwegs. Wir waren reiten, haben Urlaub auf einem Bauernhof gemacht und Ferien in der Fränkischen Schweiz. Das war großartig!“ Celine schwärmt nicht nur wegen der Erlebnisse. „Es hat vor allem unheimlich gut getan, Leute in meinem Alter zu treffen, die genau dasselbe erlebt haben. Meinen Freunden habe ich zwar auch erzählt, wie ich mich fühle, aber ich wusste immer: Die haben keine Ahnung, wie das ist, wenn die eigene Schwester Krebs hat. Das war auf den Jugendfreizeiten von LICHTBLICK anders. Alle haben mich verstanden.“ Hilfreich war für Celine auch, die Geschichten der anderen zu hören. „Ich habe mich danach mit meinen Sorgen nicht mehr so alleine gefühlt, weil ich wusste, dass es vielen ähnlich ging.“

Die Normalität kehrt zurück

Ganz vorbei ist die Angst noch nicht. Anastasia ist zwar mittlerweile sieben und nimmt keine Medikamente mehr, aber sie muss regelmäßig zur Kontrolle. Der Krebs könnte wiederkommen, und  das wird auch noch ein paar Jahre so bleiben. Für Celine ist trotzdem der Alltag zurückgekehrt. „Wir streiten uns endlich wieder die ganze Zeit“, sagt sie und lacht. Von Cynthia (12) und Alischa (10) kommt sogar häufiger mal der Satz: „Lass mich, du bist nicht meine Mutter.“ Celine nimmt es gelassen. So ganz kann sie eben nicht aus ihrer Haut. Zu lange war sie verantwortlich dafür, dass in der Familie nicht das Chaos ausbricht. Es stört sie nicht einmal, wenn ihre jüngste Schwester ein bisschen frech ist, weil sie immer noch verwöhnt wird. Celine ist einfach nur erleichtert. „Fast hätte ich eine Schwester weniger gehabt. Das hätte mir ein Leben lang auf dem Herzen gelegen.“