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Maria (27) und Tim (29) sind HIV-positiv. Wie haben sie sich angesteckt? Was bedeutet das für ihr Leben? Wie haben ihre Freunde reagiert? Im vigozone-Interview sprechen sie über ihren Alltag und ihre Ängste.

Maria, du hast in Wahrheit einen anderen Vornamen – warum ist es dir so wichtig, dass andere nicht mitbekommen, dass du HIV-positiv bist?
Maria: Weil ich damit schlechte Erfahrungen gemacht habe. In meinem Heimatdorf haben einige rumerzählt, ich wäre wohl auf den Strich gegangen, weil sie dachten, anders könne man sich als Frau nicht anstecken. Das war echt hart. In Wahrheit hatte ich es von meinem damaligen Freund.

Habt ihr keinen AIDS-Test gemacht?
Maria: Ne, ich war ja auch erst 17 und hab‘ an so was nicht gedacht.

Wie hast du erfahren, dass du infiziert bist?
Maria: Durch einen Zufall. Eine Freundin hatte einen One-Night-Stand, ohne Kondom. Ich bin mit ihr zum AIDS-Test gegangen, weil sie sich alleine nicht getraut hat. Ihr Ergebnis war negativ, meines nicht. Wenn ich das im Kino gesehen hätte, hätte ich gesagt, das ist doch total unrealistisch. So was gibt’s nicht.
Tim: Das war bei mir anders. Ich habe den Test gemacht, weil mein Ex-Freund mir gesagt hat, dass er HIV-positiv sei und nicht genau wisse, seit wann. Richtig überrascht war ich also nicht. Im Nachhinein verstehe ich überhaupt nicht mehr, warum wir keine Kondome benutzt haben.

Wie hat sich dein Leben verändert, als du von der Infektion erfahren hast?
Tim: Radikal. Meine ganzen ach-so-tollen Freunde wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. Das ist das einzig Positive: Ich habe jetzt neue Freunde, auf die ich mich wirklich verlassen kann und seit zwei Jahren auch eine sehr schöne feste Beziehung.
Maria: Ich hatte damals zwar Freunde, die mir helfen wollten, aber ich habe mich komplett zurückgezogen, weil ich nur noch aus Angst bestand. Ich hatte Angst davor zu sterben, Angst, dass keiner mehr mit mir etwas zu tun haben will, Angst, für andere zur Belastung zu werden. Alles auf einmal. Ich hatte all diese Bilder aus Filmen im Kopf und dachte, ich bin in einem Jahr tot. Meine Eltern haben mich dann mehr oder weniger rausgeschmissen. Da wurde es besser.

Sie haben dich rausgeschmissen?!
Maria: Das klingt jetzt brutal, aber in unserem Ort war es schlimm. Ich bekam plötzlich keine Arzttermine mehr, die Nachbarn drehten sich weg, wenn ich sie gegrüßt habe. Solche Sachen halt. Meine Eltern haben mich dann mehr oder weniger gezwungen, mit ihrer Hilfe in Köln neu anzufangen.
Tim: Ich lebe in Hamburg, in einer Großstadt ist es wirklich leichter. Dort gibt es zum Beispiel viele Selbsthilfegruppen. In einer davon habe ich übrigens meinen Freund kennengelernt.

Er ist auch HIV-positiv?
Tim: Ja, anstecken kann ich ihn nicht. Mein Arzt hat uns zwar empfohlen, trotzdem Kondome zu benutzen, weil es so unterschiedliche Virentypen gibt, aber wenn mal eines platzt, geraten wir natürlich nicht in Panik.
Maria: Ein gerissenes Kondom ist meine größte Angst. Wenn ich meine Tage habe, schlafen mein Freund und ich sicherheitshalber gar nicht miteinander, weil die Ansteckungsgefahr dann größer wäre.

Seit wann seid ihr denn zusammen?
Maria: Seit anderthalb Jahren, es hat sofort gefunkt.

Wusste er von deiner Infektion?
Maria: Nein, aber ich habe es ihm noch vor dem ersten Kuss erzählt. Beim Küssen kann zwar nichts passieren, aber ich wollte nicht, dass er es erfährt, bevor wir uns näher kommen. Wir haben dann ganz lange geredet. Er war auch bei der AIDS-Beratung.

Ihr seid beide HIV-positiv, habt also das HI-Virus in euch, die Krankheit AIDS ist aber noch nicht ausgebrochen.
Maria: Das stimmt. Ich nehme drei verschiedene Medikamente, die dafür sorgen, dass die Zahl der Viren in meinem Körper klein bleibt. Dadurch ist auch die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Krankheit ausbricht.
Tim: Das ist bei mir genauso. Meine Medikamente halten das Virus in Schach, und die Nebenwirkungen finde ich erträglich. Ich habe zwar heftige Schlafstörungen, kann ansonsten aber mehr oder weniger normal leben. Mein Freund ist schon seit über zwölf Jahren infiziert, und dem geht es auch verhältnismäßig gut.
Maria: Vieles relativiert sich ja. Meine Fingernägel brechen zum Beispiel durch die Medikamente ständig ab, und mein Bauch ist dicker geworden. Als ich noch gesund war, hätte ich das schlimm gefunden, jetzt ist es mir egal. Ich bin einfach nur froh, dass die Behandlung gut anschlägt. Denn das kann sich ja jederzeit ändern.

Was würde das bedeuten?
Maria: Ich müsste dann andere Medikamente nehmen, die vielleicht mehr Nebenwirkungen haben.

Wie gehst du denn mit Zukunftsplänen um? Möchtest Du zum Beispiel mal Kinder haben?
Maria: Ach, ich weiß nicht. Pläne mache ich schon. Man gewöhnt sich an den Gedanken, dass da dieses Virus ist. Es bestimmt nicht mehr meine Gedanken. Aber mit Kindern ist das so eine Sache. Ich glaube, ich würde ihnen das nicht zumuten wollen. Mit einer Mutter, die vielleicht mal AIDS hat und so.
Tim: Ach, da bin ich optimistischer. Ich bin zwar HIV-positiv, aber die Krankheit wird schon nicht ausbrechen. Schließlich lebe ich heute viel gesünder.

Wie meinst du das?
Tim: Naja, ich bin früher ziemlich brutal mit meinem Körper umgegangen. Ich habe tierisch viel getrunken und geraucht. Seit ich von der Infektion weiß, ernähre ich mich gesund, treibe Sport. Ich weiß genau, dass es für mich überlebenswichtig ist, mein Immunsystem zu stärken. Okay, ich will es nicht schön reden. AIDS kann trotzdem ausbrechen, und ich habe bei einem Bekannten gesehen, wie rapide es dann vielleicht bergab geht. Aber bis dahin genieße ich das Leben.

Also verdrängst du die Angst?
Tim: Ich sage mir: Andere werden vielleicht morgen vom Auto überfahren, und ahnen nichts davon. Ja, ich habe Durchhänger, ich gebe es zu, aber die dauern nur kurz. Ich lenke mich dann einfach ab.
Maria: Also ich würde nicht sagen, dass ich die Angst verdränge, aber man lernt, mit ihr zu leben. Jedesmal, wenn ich einen stärkeren Schnupfen habe, denke ich: „Jetzt ist es so weit! Mein Leben ist vorbei!“ Dann renne ich zum Arzt, der mir sagt, es sei alles in Ordnung und die Zahl der Viren immer noch gering. Dann lebe ich mein Leben weiter und denke nicht mehr dran – bis zum nächsten Schnupfen.