Oskar Seyfert © Marianne Moosher

Vergesslichkeit im Alter kann krankhaft werden. Wie man mit Alzheimer in der Familie umgeht, erzählt der 15-jährige Oskar Seyfert – sein Vater ist erkrankt.

Verlegt dein Opa öfter mal seinen Schlüssel oder hat dich deine Oma schon mal beim falschen Namen genannt? Es ist völlig normal, dass alte Menschen vergesslicher werden. Wie unser Körper verliert auch unser Gehirn mit dem Alter an Leistungsfähigkeit. Doch was, wenn die Vergesslichkeit zu viel wird? Dann könnte die Diagnose Alzheimer vorliegen. Oskar ist elf, als sein Vater an Alzheimer erkrankt. Jetzt, mit 15 Jahren hat er ein Buch geschrieben über das Leben mit seinem kranken Vater. Wie Oskar, seine Geschwister und seine Mutter mit dieser schwierigen Situation umgehen und welchen Ratschlag er anderen Betroffenen gibt, erzählt er im Interview.

Oskar, mit welchen drei Worten würdest du deinen Vater vor seiner Erkrankung und heute beschreiben?

Oskar: Vor seiner Erkrankung würde ich ihn als intelligent, konzentriert und stark beschreiben. Heute als zerstreut, vergesslich und still.

Alzheimer in der Familie – ein schleichender Start

Wie hat sich die Krankheit deines Vaters bemerkbar gemacht?

Oskar: Vor der Diagnose habe ich keinerlei Verdacht geschöpft. Doch rückblickend war er auch schon vorher etwas zerstreuter als früher. Manchmal stellte er mehrmals dieselbe Frage hintereinander. Ich weiß noch, dass mein Bruder und ich uns damals darüber lustig machten. Wir konnten ja nicht wissen, dass das der Anfang von etwas Schlimmem ist.

Kurz erklärt: Alzheimer

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. Es ist eine Krankheit, bei der die Nervenzellen im Gehirn absterben. Betroffene werden vergesslich, verlieren nach und nach Erinnerungen und Fähigkeiten – und verändern sich dadurch auch in ihrem Wesen. In Deutschland gibt es mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Demenzerkrankung – die meisten davon im höheren Alter. Zwei Drittel aller Erkrankten sind bereits über 80 Jahre alt. Das Leben mit Alzheimer in der Familie stellt Angehörige meistens vor eine große Herausforderung. Doch was kannst du tun, wenn Oma oder Opa an Alzheimer erkranken? Spreche mit Familie und Freunden, wenn dich die Situation belastet. Besuche deine Großeltern, unterhalte dich mit ihnen und binde sie in Unternehmungen ein. Das braucht manchmal etwas Geduld, doch kann auch Spaß bringen!

Alzheimer: erst kleine Aussetzer, dann große

Wie war es für dich, als du von der Diagnose erfahren hast?  

Oskar: Ich kann mich nicht mehr an den Tag der Diagnose erinnern, doch die ersten Tage haben meine Geschwister und ich auch überhaupt nicht realisiert, was das für uns bedeutete. Das erste, an das ich mich bewusst erinnere, ist, dass mein Vater nach der Diagnose nicht mehr zur Arbeit ging. Kurz darauf sah ich meinen Papa zum ersten Mal weinen. Er war immer der Starke und mein Beschützer, und jetzt war er völlig hilflos. Das war der erste Moment, in dem ich eine grobe Ahnung davon bekam, dass diese Krankheit mehr als nur eine Form der Vergesslichkeit war.

Wie hat sich die Krankheit dann weiterentwickelt?  

Oskar: Erst hat er Dinge verlegt, dann kamen logische Denkfehler dazu, er konnte sich immer häufiger nicht mehr an Personen erinnern und hat immer mehr Fähigkeiten verlernt. Am schlimmsten war es für mich, als ich gemerkt habe, dass er nicht mehr schreiben oder Autofahren konnte. Und er immer stiller, zurückgezogener und misstrauischer wurde. Trotzdem sieht unser Alltag nicht besonders anders aus als bei anderen Familien. Ich gehe zur Schule , mache viel Sport  und treffe Freunde. Wir essen gemeinsam, manchmal gucke ich einen Film mit meinem Vater und gehe mit ihm und unserem Hund spazieren. Er braucht im Moment noch keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, er hat aber Alltagshelfer, die ihn unterstützen. Die meiste Zeit verbringt er im Garten mit Schnitzen.

Der Umgang mit Alzheimer in der Familie ist individuell

Was ist das Schlimmste an der Krankheit deines Vaters für dich?

Oskar: Das Schlimmste ist für mich, wenn mein Vater sich nicht mitteilen kann. Wenn er ein Bedürfnis hat, aber nicht formulieren kann, was er braucht. Ich sehe meinen Vater oft traurig und habe ihn als mein Vorbild verloren. Ich war stolz auf ihn, dass er so viel wusste und dass er als Arzt Menschenleben rettete. Ich habe ihn für seine schelmische und witzige Art geliebt. Dieses Vorbild nicht mehr zu haben, ist für mich ein unglaublicher Verlust.

Dein Buch heißt trotzdem „Vom Privileg, einen kranken Vater zu haben“ – was kannst du Positives aus der Situation gewinnen?

Oskar: Die Krankheit meines Vaters hat uns als Familie extrem zusammengeschweißt. Außerdem habe ich neue Hobbies und Leidenschaften entwickelt. Ich spiele Gitarre, mache Krafttraining und interessiere mich jetzt total für Psychologie und Philosophie. Außerdem glaube ich, dass es einem Menschen guttut, wenn er Hürden überwinden muss. Die Krankheit meines Vaters hat uns abgehärtet und gezeigt, dass das Leben trotzdem weitergeht. Und ich durfte dieses Buch schreiben, das war eine tolle Erfahrung!

Wie kannst du deinen Vater in seinem Alltag unterstützen?

Oskar: Manchmal kriegt er überhaupt nichts mehr hin. Er will mit dem Hund raus, aber findet die Leine oder den Hund nicht. Dann hilft es, wenn man ihm alles hinstellt. Es ist wichtig, dass man ihm Aufgaben gibt und er so das Gefühl bekommt, weiterhin wichtig zu sein. Außerdem tut es ihm gut, wenn er sich verstanden fühlt.

Zukunftsperspektiven – auch mit chronischen Krankheiten

Welchen Ratschlag würdest du jemanden geben, der in einer ähnlichen Situation steckt?

Oskar: Ich glaube, dass meine Geschwister und ich damals gut reagiert haben. Wir haben erst mal nicht zu viel Drama gemacht und abgewartet. Das wäre auch mein Ratschlag. Bei vielen Jugendlichen sind es ja eher die Großeltern, die von Alzheimer und Demenz betroffen sind. Da wäre mein Tipp, es nicht schlimmer zu sehen, als es ist. Immerhin ist es ziemlich normal und gehört zum Alterungsprozess dazu. Wenn es einen jüngeren Menschen betrifft, muss man es einfach akzeptieren. Es bringt nichts, sich Tag und Nacht mit der Krankheit zu beschäftigen und zu verbrennen. Wichtig ist ein starker Zusammenhalt in der Familie und dass man den Spaß am Leben behält. Mir hilft es am meisten, mich abzulenken: rausgehen, Sport machen, Freunde treffen.

Gibt es etwas vor dem du Angst hast, wenn du auf die kommenden Jahre blickst?

Oskar: Angst ist nicht das richtige Wort dafür. Denn Angst hat für mich mit Ungewissheit zu tun, doch ich weiß, was kommen wird. Irgendwann wird mein Vater nicht mehr lachen und sprechen können, irgendwann nicht mehr laufen und essen. Und irgendwann wird er sich wahrscheinlich auch nicht mehr an mich erinnern können. Doch obwohl mein Vater Vieles bald nicht mehr kann, weiß ich immer, dass er mich lieb hatte.

Oskars Erzählung – eine Geschichte zum Mutmachen

Klar – wenn eine liebe Person oder Familienmitglied an einer chronischen Krankheit leidet, ist das immer erst einmal schlimm. Was wir aber von Oskars Geschichte lernen können, ist, dass es immer ein danach gibt. Und dass man lernt, noch mit den widrigsten Umständen zu leben und einen neuen Alltag zu schaffen. Auch wenn ein Mensch durch die Erkrankung eingeschränkt ist, gibt es schöne Momente, die man gemeinsam erleben kann. Schafft man es, über den anfänglichen Schock, die Wut oder Trauer hinwegzukommen, macht einen das langfristig stärker!