Depressiver junger Mann schaut in Spiegel © Faisal/AdobeStock

Wer an Essstörungen denkt, hat spontan Bilder von stark unterernährten oder stark übergewichtigen Mädchen im Kopf. Aber dass auch viele Jungen oder junge Männer unter einem ungesunden Essverhalten, Suchterscheinungen und Körperbildstörungen leiden, wird häufig tabuisiert.

Weniger häufig, aber nicht weniger schlimm

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erkranken im globalen Schnitt von 1.000 Jungen und Männern im Laufe ihres Lebens zwei an Magersucht (Mädchen und Frauen: 14), sechs an Bulimie (Mädchen und Frauen: 19) und zehn an einer Binge-Eating-Störung (Mädchen und Frauen: 28). Konkrete Zahlen für Deutschland gibt es laut BGzA nicht.

Während bei Magersucht die Essensmenge extrem reduziert wird, leiden Betroffene bei Bulimie unter Heißhungeranfällen mit hoher Kalorienzufuhr, nur um diese dann wieder zu erbrechen oder die Kalorien auf andere Weise loszuwerden: durch übermäßig viel Sport, Abführ- oder Entwässerungsmittel. Auch beim Binge-Eating haben die Betroffenen regelrechte Fressanfälle, bei denen sie sich nicht unter Kontrolle haben, sie erbrechen aber in der Regel nicht. Fast alle Krankheitsformen beginnen in einer Phase der emotionalen Instabilität: der Pubertät. Die Magersucht beginnt häufig im frühen Jugendalter, Bulimie und Binge-Eating-Störung eher im späten Jugendalter oder als Erwachsene. Generell ist aber keine Altersgruppe von Essstörungen ausgenommen.

Je nach Art und Ausmaß der Essstörung kann sie zu einem starken Untergewicht (Anorexie) oder Übergewicht (Adipositas) führen. In der Regel tritt die Essstörung nicht allein auf, sondern wird begünstigt und begleitet von psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen.

Was ist zu dünn, was ist zu dick?

Viele Menschen haben ihre ganz subjektive Sichtweise auf ihren eigenen Körper und die Körper anderer: Was der eine schön findet, ist dem anderen zu mager oder zu dick. Hier ist viel Toleranz gefragt. Einen objektiven Maßstab zur Orientierung stellt der BMI-Rechner dar, der unter Eingabe von Körpergröße, Gewicht und Alter ausspuckt, ob Normalgewicht, Untergewicht oder Übergewicht vorliegt. Aus medizinischer Perspektive gilt das Normalgewicht als „gesund“. Wer sich allerdings – gerade in der Pubertät – viel mit anderen vergleicht, wird eher sein eigenes Körperbild zum Vergleich heranziehen als den BMI. Und wer Influencern auf Social Media folgt, die gerade auf dem Weg zum durchtrainierten Body voller Muskelmasse sind, fühlt sich davon inspiriert und herausgefordert: So willst du auch unbedingt aussehen. Britische Wissenschaftler haben mittlerweile nachgewiesen, dass vor allem visuell geprägte soziale Medien und sogenannter Thinspiration- und Fitspiration-Content zu Zweifeln am eigenen Körperbild, zu Ängsten, gestörtem Essverhalten und einer schlechten mentalen Gesundheit führen können.

Muskelsucht: Die Sehnsucht nach dem perfekt definierten Körper

Schon mit 16 Jahren darfst du dich mit Zustimmung deiner Eltern in einem Fitnessstudio anmelden. Hinterfrage dabei ruhig deine Motive: Machst du es, um körperlich fit und gesund zu sein? Oder ist es eher eine Frage des durchtrainierten Körperbildes, das dich (täglich) ins Gym treibt? Wenn es dir vor allem darum geht, Körperfett abzubauen und Muskelmasse – unterstützt von Proteinen und Kreatinen in Nahrung und Nahrungsergänzungsmitteln – aufzubauen, kann das der Auftakt zu einer Muskeldysmorphie sein, auch Adonis-Komplex oder Muskelsucht genannt. Vor allem wenn du nur noch daran denken kannst und mit deinem Körpertraining versuchst, Ängste oder Minderwertigkeitskomplexe zu bekämpfen. Mach dir immer klar: Körperideale sind „Ideale“, weil sie von 99,9 Prozent der Menschen nicht erreicht werden können. Es lohnt nicht, sich daran abzuarbeiten oder sein Selbstwertgefühl daran zu messen. Überlege dir lieber, wie du dich und deinen Körper annehmen, wertschätzen und durch deinen eigenen Style prägen kannst.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptierst Du die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Mögliche Symptome von Essstörungen bei Männern

Weil Jungen und Männer deutlich seltener an einer Essstörung leiden als Mädchen oder Frauen, wird sie bei ihnen auch später erkannt. Zumal Bulimie- und Binge-Eating-Erkrankte sehr geübt darin sind, ihr Sucht zu verstecken. Aber Magersucht fällt auf, wenn das Umfeld bewusst hinguckt: Die Betroffenen streichen immer mehr (kalorienhaltige) Lebensmittel von ihrem Speiseplan, sie reduzieren Portionen, schneiden ihr Essen klein oder schaben es mit einem Löffel ab, sie essen nach einem strikten Zeitplan, nehmen rasend schnell ab oder halten krampfhaft an ihrem deutlichen Untergewicht fest. Außerdem ziehen sie sich sozial zurück, weil der Gedanke ans Essen sie so sehr beschäftigt oder ihnen gleichzeitig das Interesse und die Kraft fehlen, etwas mit Freunden zu unternehmen. Darauf folgen große körperliche Erschöpfung, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden, kalte und blaue Hände, trockene Haut, Haarausfall und sogar Herzrhythmusstörungen.

Umgang und Hilfe bei Essstörungen

Jungen und junge Männer haben häufig größere Probleme damit, über sich und ihre Gefühle zu sprechen als Mädchen oder junge Frauen – vermutlich eine Folge der „männlichen“ Sozialisation, die immer noch in ein stereotyp männlich starkes Selbstbild mündet. Außerdem ist es bei einigen noch immer mit Scham verbunden, an einer „Frauenkrankheit“ zu leiden. Deshalb tut es essgestörten Männern gut, andere männliche Betroffene zu finden, mit denen sie sich offen in einem geschützten Raum austauschen können. Immer mehr Influencer wie Twenty4Tim oder Riccardo Simonetti machen ihre Essstörung öffentlich. Das trägt zur Enttabuisierung bei. Wichtig zu wissen. Eine Essstörung muss behandelt werden, denn sie ist eine ernsthafte körperliche und psychische Erkrankung, die zu einer höheren Sterblichkeit oder zum Suizid führen kann.

 

Beratungsstellen für essgestörte Männer (Auswahl):

Therapiehilfe gGmbH
Abteilung sMUTje
Ritterstraße 69, 22089 Hamburg
Tel.: 040 / 2000-10-5408
E-Mail: smutje@therapiehilfe.de

www.smutje-hh.de

 

Waage e.V.

Das Fachzentrum
für Essstörungen in Hamburg
Eimsbütteler Straße 53
22769 Hamburg

E-Mail: info(a)waage-hh.de
Tel: (040) 491 49 41
www.waage-hh.de

(Inklusive Selbsttest für Betroffene und Angehörige)

 

 

Vernetzungsinitiativen Essstörungen in NRW

https://www.landesfachstelle-essstoerungen-nrw.de/vernetzung-und-hilfen

 

 

Weitere Kontakt- und Anlaufstellen:

www.anad.de

www.magersucht-online.de

www.bulimie-online.de

https://www.binge-eating-online.de/

www.bzga-essstoerungen.de