side view of joyful father and teenager son looking at each other ©AdobeStock/LIGHTFIELD STUDIOS

Die Beziehung zu deinen Eltern spielt beim Erwachsenwerden eine große Rolle – damit du auf eigenen Füßen stehen kannst, muss die sich nämlich verändern. Wir erklären dir, was Abnabelung von den Eltern bedeutet und warum sie so wichtig ist.

Was heißt Abnabelung von den Eltern?

Ursprünglich bedeutet der Begriff „Abnabelung“ das Durchtrennen der Nabelschnur nach der Geburt. Je älter du wirst, desto mehr löst du dich aber auch auf andere Weise von deinen Eltern. Auf emotionaler Ebene zum Beispiel, um deine Identität zu entwickeln und deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Oder finanziell, indem du eine Ausbildung oder ein Studium beginnst, einen Job findest und dein eigenes Geld verdienst. Es kann aber auch bedeuten, dass du dich physisch von deinen Eltern löst, sprich zuhause ausziehst und neue soziale Kreise aufbaust, durch Kollegen, neue Freundschaften oder eine Beziehung.

All das kann parallel passieren, muss es aber nicht. Du kannst zum Beispiel selbstständig und erwachsen sein, auch wenn du lange bei deinen Eltern wohnst. Andersherum gibt es aber auch Menschen, die es trotz eigener Wohnung nicht so richtig schaffen, sich von ihren Eltern zu lösen, also „abzunabeln“. Dabei ist das ziemlich wichtig.

Warum ist das Abnabeln so wichtig?

Dich von deinen Eltern abzunabeln, heißt, selbstständig und eigenverantwortlich zu werden, deinen Weg zu gehen und deine eigenen Erfahrungen zu machen. Das ist ein ganz natürlicher – wenn auch intensiver – Prozess und bedeutet keinesfalls, dass du automatisch weniger Kontakt zu deinen Eltern hast oder sich euer Verhältnis verschlechtert. Ganz im Gegenteil: Es heißt, dass ihr auf Augenhöhe miteinander umgehen und kommunizieren könnt. Dass deine Eltern nicht mehr für dich verantwortlich sind, sondern du immer mehr Verantwortung für dich selbst übernimmst. Und dass sich eure Rollen vielleicht irgendwann sogar umdrehen können, zum Beispiel, falls du deine Eltern im Alter einmal pflegen wirst.

Sind Konflikte mit den Eltern normal?

Es gibt Eltern, die von ihren Kindern erwarten, dass sie genau den Weg gehen, den sie für sie vorgesehen haben, zum Beispiel was die Berufswahl angeht oder die Beziehung, die sie führen. Dich von deinen Eltern zu lösen, bedeutet also auch, dich von solchen Erwartungen zu befreien und deine eigenen Ziele zu entwickeln und zu verfolgen.

Das ist wichtig, ganz unabhängig davon, was für ein Verhältnis du zu deinen Eltern hast. Allerdings kann die Art und Qualität eurer Beziehung stark beeinflussen, wie gut euch diese Ablösung gelingt und wie viel Konfliktpotenzial es dabei zwischen euch gibt.

Vor allem während der Pubertät ist es ganz normal, dass es mal zu Spannungen und Streit kommt. Doch viele junge Menschen haben auch darüber hinaus ein angespanntes oder gar ungesundes Verhältnis zu ihren Eltern. Eine Eltern-Kind-Beziehung, die schwierig, instabil oder gar toxisch ist, kann den Abnabelungsprozess sehr erschweren.

Woran erkenne ich das?

Eine schwierige Beziehung kann zum Beispiel so aussehen: Deine Eltern üben ständig Druck auf dich aus. Um respektiert zu werden, musst du erst etwas leisten, dich regelmäßig behaupten und beweisen. Die Beziehung wird kühler und angespannter, wenn du Erwartungen nicht erfüllst. Deine Eltern haben wenig Vertrauen in dich. Du hast Schuldgefühle ihnen gegenüber oder das Gefühl, ihren Ansprüchen nicht zu genügen.

Wenn du in der Beziehung zu deinen Eltern solche Dinge empfindest, kann sich das im Prozess des Erwachsenwerdens auf verschiedene Art äußern: Vielleicht reagierst du mit Trotz und Ablehnung. Deine Wut und Enttäuschung äußern sich in einer Rebellion gegen deine Eltern oder in ständigem Streit. Es kann aber auch zu Unterwerfung deinen Eltern gegenüber führen: Sprich, du fügst dich ihren Erwartungen, nur um Harmonie zu wahren, büßt dadurch aber an Eigenständigkeit ein. In manchen Fällen kann sich das sogar zu Essstörungen, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen führen. Besonders emotional bleibst du so auf ganz ungesunde Weise von deinen Eltern abhängig.

Unterstützt euch gegenseitig!

Damit ihr während des Erwachsenwerdens ein gesundes und faires Verhältnis pflegen könnt, ist es wichtig, dass ihr euch von diesen emotionalen Abhängigkeiten freimacht. Verständnis und Vertrauen sind da ein Schlüssel. Haben deine Eltern dir viel Vertrauen geschenkt, geben sie dir dadurch auch Selbstvertrauen. Gestehen sie dir deine eigene Meinung zu, begegnest du auch ihnen mit mehr Akzeptanz und Respekt. So geben sie dir das Gefühl, dass sie an dich glauben und daran, dass du allein zurechtkommst.

Deine Grenzen auszutesten, ist in diesem Prozess normal. Zeige deinen Eltern dabei aber, dass du verantwortungsvoll handelst. Versuch, auch ihre Sorgen und Ängste zu verstehen – es ist bestimmt nicht leicht, dass ihr Kind sie nicht mehr auf die gleiche Weise braucht wie früher. Sie sollten dich aber darin unterstützen, eigenständig und unabhängig zu werden. Dir das Gefühl geben: Wir unterstützen dich und beraten dich, sind aber nicht mehr dein „Chef“. Das darfst du auch ruhig einfordern – es sollte ja auch in ihrem Sinne sein, dass du ein gutes und selbstbestimmtes Leben führst.

Du bist nicht allein

Beziehungen zu den Eltern sind komplex – damit bist du nicht allein. Da ist es ganz gewöhnlich, dass es mal zu Spannungen kommt. Oder dass es euch etwas schwerfällt, mit euren neuen Rollen umzugehen. Denk daran: Es ein Prozess und ihr wachst alle gemeinsam daran.

Falls du dich aber alleingelassen fühlst, ungesunde oder gar toxische Muster in der Beziehung zu deinen Eltern feststellst, sprich unbedingt darüber. Tausch dich mit Freunden aus oder wende dich an einen Psychologen. Wie du Hilfe bekommst, erfährst du im Artikel Psychotherapie: Wie finde ich einen Platz?.